Innovation und Zusammenarbeit sind nach Aussage der erfolgreichsten Unternehmen Japans der Schlüssel zu Industrie 4.0.
Auf der CeBIT 2017 hat der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe dem deutschen Publikum seine Vision einer Transformation der Gesellschaft vorgestellt. Society 5.0 basiert auf Industrie 4.0 – der vierten industriellen Revolution, bei der die digitale Transformation der Produktion im Mittelpunkt steht. Abe verlangt, dass die Technologien, die Industrie 4.0. ermöglichen – wie das Internet der Dinge (IdD), künstliche Intelligenz (KI), Robotik und Virtual Reality (VR) – genutzt werden sollen, um alle Gesellschaftsschichten zu digitalisieren und globale Herausforderungen wie eine alternde Bevölkerung, der Klimawandel und die Energieerzeugung anzugehen. Und er bittet Deutschland um eine Partnerschaft: „Lassen Sie uns, Deutschland und Japan, zusammen die Geschichte von Society 5.0 schreiben“, sagte er auf der CeBIT.
Seit der Vorstellung auf der Hannover-Messe 2011 hat Japan das Konzept von Industrie 4.0 übernommen und arbeitet nun mit Deutschland daran, es voranzutreiben. Viele japanische Unternehmen spielen bei der Entwicklung von Ideen und bei der Planung einer gesellschaftlichen Revolution eine führende Rolle. Um ihre Vorgehensweise und einige der Möglichkeiten, die sie für und mit deutschen Unternehmen schaffen, zu verstehen, haben wir mit zahlreichen bekannten Wirtschaftsführern Japans gesprochen.
Die Hitachi Group hat sich zum Ziel gesetzt, „der Hauptinnovationspartner für Society 5.0 zu werden“, sagt ihr Präsident und CEO Toshiaki Higashihara. Das Unternehmen hat seine Geschäftsstruktur geändert und eine IdD-Plattform, Lumada, eingeführt. Diese wird „die Infrastruktur und das Ökosystem für Society 5.0 zur Verfügung stellen. Dabei handelt es sich um eine offene Plattform, da wir davon überzeugt sind, dass gute Innovation nur durch gemeinsames Gestalten und Verbundenheit erzielt werden kann“, erklärt er.
„Leistungsstarke Innovationen können nicht allein durch einzelne Unternehmen erfolgen“, schließt sich Hiromichi Shinohara, Senior Executive Vice President, Chief Technology Officer und Chief Information Security Officer der NTT Group, der größten Informations- und Kommunikationsfirma der Welt, an. NTTs Ansatz umfasst die Bildung von Partnerschaften in verschiedenen Branchen, den Aufbau eines Innovationslabors in München und die Zusammenarbeit mit deutschen Universitäten, merkt er an.
Ein Beispiel für eine Technologie aus Japan, die diese Universitäten demnächst nutzen könnten, stammt vom Start-up-Unternehmen Robotic Biology Institute (RBI). Maholo, der weltweit erste menschenähnliche Roboter für naturwissenschaftliche Experimente, ermöglicht viel kürzere Forschungszyklen“, sagt Geschäftsführer Tohru Natsume. „Wir sehen große roboterbasierte biologische Forschungszentren vorher, in denen Roboter zusammenarbeiten und von KI gesteuert werden."
Zusammenarbeit im Automobilsektor
Der große Batteriehersteller GS Yuasa ist ein weiteres innovatives Unternehmen, das den Bedarf an Kooperation erkennt – in seinem Fall „mit den besten Elektronikunternehmen“, sagt Osamu Murao, Präsident des Unternehmens. Es hat in Stuttgart ein Joint Venture mit Bosch ins Leben gerufen, um Lithium-Ionen-Batterien der nächsten Generation zu entwickeln, eine Partnerschaft, „die uns weitere Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet – vor allem bei Batterien für Elektrofahrezeuge“, erklärt Murao.
Auch andere Unternehmen arbeiten mit deutschen Firmen im Automobilsektor zusammen. Asahi Kasei, führend in mehreren Sektoren, vor allem bei Hightech-Autoteilen, pflegt seit Langem enge Kooperationen, die „ein Paradebeispiel der Stärke darstellen, von der deutsch-japanische Innovationen geprägt sind“, sagt der Präsident und stellvertretende Unternehmensleiter Hideki Kobori. Asahi Kasei hat in Deutschland ein Forschungszentrum und eine neue europäische Zentrale eröffnet, um seine Beziehungen auszubauen und die Nutzung des IdD und von KI zu intensivieren.
Ein weiterer Technologieführer im Bereich Autoteile, Alps Electric, hat seinen europäischen Hauptsitz ebenfalls in Deutschland. Während sich die digitale Revolution ausbreitet, wächst das Unternehmen, das sich Innovationen, zum Beispiel bei Autonavigation, Bluetooth und der Mensch-Maschinen-Schnittstelle (MMS), widmet, nun in den Bereichen Energie, Gesundheit, Industrie und IdD. „Wir bieten einzigartige Technologien und Produkte“, sagt Toshihiro Kuriyama, Präsident von Alps Electric. Er glaubt, dass die MMS-Technologie des Unternehmens die Brücke zu Industrie 4.0 schlagen kann: „Ohne uns könnten viele IdD- und KI-Produkte nicht hergestellt werden.“
Innovation bildet auch das Zentrum für die Wachstumsstrategie der Nichia Corporation. Das Unternehmen, das führend in der Produktion und dem Vertrieb von LED-Leuchten ist, strebt nach Aussage seines Präsidenten und COO Hiroyoshi Ogawa stets danach, „bessere und effizientere Lösungen zu finden und einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten“. TOTO, Japans bekannter Hersteller von Toiletten und Sanitärkeramik, hat einen ähnlichen Ansatz. „Durch unsere extrem progressiven Forschungs- und Entwicklungsprojekte wachsen wir immer weiter. Die Menschen sind von unseren Technologien fasziniert – kein anderer Toilettenhersteller nutzt für die Entwicklung seiner Produkte Supercomputer“, unterstreicht Madoka Kitamura, Präsident und stellvertretender Unternehmensleiter.
Eine bessere Welt drucken
Die Druckbranche ist ein weiterer Bereich, in dem sich Japan auf spannende und innovative Weise in Richtung Society 5.0 bewegt. Dai Nippon Printing ist u. a. in der digitalen Reproduktion von Kunst für bekannte Museen tätig, wofür Spitzentechnologien wie VR zum Einsatz kommen. Die Instrumente, die das Unternehmen entwickelt hat, werden „die Dynamik künftiger Geschäftstätigkeiten deutlich verändern. Von den visuelleren, praktischeren Technologien können viele Unternehmen bei der Vermarktung profitieren“, sagt der Geschäftsführer, Motoharu Kitajima. „Die Druckbranche muss sich kontinuierlich verändern und an moderne Technologien anpassen.“
Eine Möglichkeit, wie sich der Großkonzern Toppan Printing anpasst, ist die Nutzung aufkommender Technologien, um zum Beispiel umweltfreundliche Verpackungsfolien für Lebensmittel zu entwickeln. Shingo Kaneko, Präsident und stellvertretender Unternehmensleiter, sagt: „Deutschland ist das führende Land, wenn es um Technologien für Industrie 4.0. geht.“ Um von dieser Stärke zu profitieren, haben wir unseren europäischen Hauptsitz von London nach Düsseldorf verlegt. Für mich sind Deutschland und Japan hervorragende Partner, die gut zusammenpassen.“
Recht gibt ihm dabei vor allem die Partnerschaft zwischen Beckhoff Automation aus Deutschland und Suruga Seiki aus Japan. Beide stellen mithilfe der Technologien von Beckhoff Komponenten für Automatisierungssysteme her. „Dies ist ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche deutsch-japanische Zusammenarbeit, die auf starken, gemeinsamen Werten und Überzeugungen, aber auch auf unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen basiert“, sagt Suruga Seikis Präsident, Takeshi Marui.
Toshimitsu Kawano, Geschäftsführer von Beckhoff Automation KK, führt weiter aus: „Während die Transformation der Unternehmen in Richtung Industrie 4.0 in Deutschland vor allem von oben nach unten erfolgt, gehen japanische Unternehmen eher von unten nach oben vor, wobei die Arbeiter ein starkes Mitspracherecht haben. Diese Unterschiede sind es, die deutsch-japanische Partnerschaften so leistungsstark machen, da das Beste aus beiden Welten kombiniert wird.“
Eine deutsch-japanische Erfolgsgeschichte
Aus der Gründung von DMG Mori ist der größte Werkzeugmaschinenhersteller der Welt und ein Industrie 4.0.-Führer hervorgegangen.
Um zu begreifen, wie dynamisch eine deutsch-japanische Zusammenarbeit sein kann, muss man sich nur die Fusion von Mori Seiki aus Japan und Gildemeister aus Deutschland zu DMG Mori im Jahr 2016 anschauen – dem größten Werkzeugmaschinenhersteller der Welt und treibende Kraft hinter den weltweit entstehenden digitalen Fabriken.
Die Firmen arbeiten seit 2009 zusammen, aber erst durch die Fusion konnten sie ein wahrhaft globales Unternehmen werden. Die Ergebnisse sind schon jetzt beeindruckend: Die Aufträge sind in den ersten drei Quartalen von 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 19 % gestiegen.
Dr. Masahiko Mori
DMG Mori vereint zwei äußerst erfahrene Spitzentechnologieführer zu einer Aktiengesellschaft mit über 7.400 Vertriebs- und Servicemitarbeitern, die in mehr als 76 Ländern tätig sind. Diese internationale Basis war einer der Hauptgründe für die Fusion, erklärt Dr. Masahiko Mori, Präsident von DMG Mori: „Die Welt der Werkzeugmaschinen hat sich globalisiert. Um die Herausforderungen anzugehen und zu bewältigen, sind starke Allianzen notwendig.“ Er glaubt, dass der Schlüssel zum Erfolg der Fusion „die schnelle und konstruktive Integration unserer starken Unternehmenskulturen und die Schaffung einer neuen war, die eine reibungslose Verknüpfung der besten Elemente beider Unternehmen ermöglicht.“
Innovationen für die Zukunft
Durch die Fusion wurden außerdem die umfangreichen Forschungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Unternehmen vereint. DMG Mori steht bei Werkzeugmaschinen an der Spitze von Innovation und Technologie. Das gilt auch für die Software und Systeme, durch die die Maschinen gesteuert werden und die eine Automatisierung und vollständig verbundene Produktionsprozesse ermöglichen.
Damit sind die Produkte des Unternehmens von großer Bedeutung für die Digitalisierung der Produktion: „Wir konzentrieren uns stark auf Industrie 4.0, das Internet der Dinge und natürlich künstliche Intelligenz“, sagt Dr. Mori. Die fortgeschrittene additive Fertigung ist ein weiterer Bereich, in dem das Unternehmen eine Vormachtstellung einnimmt. So hat es 2017 einen Anteil von 50,1 % an ReaLizer erworben, einem deutschen Spezialisten in diesem Sektor.
DMG Mori glaubt, dass eine kontinuierliche Investition in Innovation sowohl für das Geschäft als auch die Gesellschaft essenziell ist. Das Unternehmen fördert Innovation u. a. durch die Förderung von Forschungsinstituten und Akademien sowie durch „die Ausbildung junger Talente. Wir sind überzeugt, dass die Investition in Bildung die beste Antwort auf aktuelle globale Herausforderungen ist“, erklärt er.
In diesem Zusammenhang hat DMG Mori 2017 ein technologisches Forschungszentrum in Tokio eröffnet, in dem künftige Technologieexperten geschult werden, die Erfahrung mit der Arbeit an Produktionslinien haben. Damit weibliche Innovatoren ihre Karriere verfolgen können, werden an den Hauptstandorten in Japan auch Kinderbetreuungseinrichtungen geschaffen.
In Anbetracht der einzigartigen deutsch-japanischen Sichtweisen und Fähigkeiten ist sich Dr. Mori sicher, dass das Unternehmen innerhalb kurzer Zeit ein noch bedeutenderer Akteur im Bereich Industrie 4.0 werden wird. Und es wird auch weiterhin innovieren, indem „Werkzeuge und Maschinen entwickelt werden, die wesentliche Impulse geben, um das Leben der Menschen auf der Welt zu verbessern“, verspricht er.